Kleine Schritte zum Glück im herausfordernden Pflege-Alltag
Manchmal nimmt das Leben eine unerwartete Abzweigung. Plötzlich findest du dich in einer unbekannten Umgebung wieder und musst erst einmal lernen, dich dort zurechtzufinden. Doch irgendwann ist es an der Zeit, nach vorne zu blicken und den Weg zu gehen, der vor dir liegt – auch wenn er beschwerlicher ist als der, den du ursprünglich gehen wolltest. So geht es vielen pflegenden Eltern. Wir haben mit zwei Müttern gesprochen, die trotz aller Herausforderungen ihren eigenen Weg zum Alltagsglück gefunden haben. Sie teilen mit uns, was ihnen Kraft gibt und welche kleinen Freuden ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Plötzlich war alles anders
„Ich wurde ins kalte Wasser geschmissen und muss bis heute funktionieren,“ erzählt Claudia, deren Tochter eine schwere Behinderung hat. Obwohl sie aus einer Medizinerfamilie stammt und wusste, was auf sie zukam, stellte die Bürokratie eine unerwartete Hürde dar. „Es war so, dass uns von Anfang an von allen möglichen Seiten Steine in den Weg gelegt wurden,“ berichtet sie. Ähnlich erging es Daniela: „Du fällst in eine andere Welt,“ beschreibt sie. „Diese Welt ist einfach noch einen Tacken schwerer als die, in der sich Eltern mit gesunden Kindern bewegen. Du musst für alles kämpfen und jeden Tag voll präsent sein.“
Als ihr Sohn mit nur 75 Gramm auf die Welt kam, kämpfte er drei Monate lang auf der Intensivstation, umgeben von Kabeln und Maschinen. Daniela fand sich in einer Realität voller medizinischer Geräte, Therapiepläne und unzähliger Termine wieder, während andere Mütter sich unbeschwert auf dem Spielplatz trafen. Ständig aufmerksam und funktionierend wie ein Uhrwerk – so beschreiben fast alle Eltern ihre neue Lebensrealität. „Auch wenn du kaum noch Kraft hast, machst du trotzdem weiter, weil dein Kind dich braucht,“ sagt Claudia. Und Daniela ergänzt: „Ich war quasi das Exoskelett für meinen Sohn, weil er viele Dinge nicht alleine tun konnte. Alles, was an Leichtigkeit da war, verschwand.“ Dieses ständige Funktionieren bringt viele Eltern an den Rand ihrer Belastbarkeit.
Wenn die Welt nur noch grau aussieht
Der Alltag verlangt pflegenden Eltern so viel ab, dass sie oft das Gefühl haben, in einer Endlosschleife gefangen zu sein. Ungebetene Ratschläge und unüberlegte Kommentare tragen ihr Übriges dazu bei, dass sich viele fühlen als würden sie von allen Seiten angegriffen und müssten allein gegen die Welt kämpfen. Das Gewicht der Verantwortung kann erdrückend sein, und irgendwann sieht alles nur noch dunkel und trüb aus. Wenn Erschöpfung und Hilflosigkeit überhandnehmen, wird die ganze Welt von einem grauen Schleier verborgen.
Doch wer sich zu sehr auf das Negative konzentriert, verpasst die kleinen, schönen Augenblicke, die das Leben bereithält, und fühlt sich isoliert und allein gelassen, weil niemand wirklich versteht, was man durchmacht. „Mir ist schnell klar geworden, dass es meiner Tochter nichts bringt, wenn ich in Trauer oder Selbstmitleid verharre,“ erklärt Claudia. „Ich möchte nicht traurig in meinem Kämmerlein sitzen und mir überlegen, was wäre wenn, sondern ein glückliches Leben führen.“
Eine Frage der inneren Haltung
„Mein Leben ist komplett anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Aber das heißt nicht, dass es schlechter ist – nur anders,“ sagt Claudia. Ihr Leben verläuft nun in einem anderen Rahmen, den sie aktiv gestalten kann. Der Weg von der Hilflosigkeit hin zu einem Gefühl der Ermächtigung beginnt oft mit kleinen Schritten. Dazu gehört, die Vorstellung loszulassen, alles kontrollieren zu können, und stattdessen zu vertrauen, dass auch in schwierigen Momenten Kraftquellen für dich bereitstehen. Das klingt vielleicht einfacher, als es ist – doch oft reicht es schon, kleine Gewohnheiten zu schaffen, die dein inneres Gleichgewicht stärken.
Es geht nicht darum, alles schönzureden oder die Probleme zu verdrängen. Vielmehr geht es darum, bewusst zu entscheiden, wie du auf eine Situation reagierst. „Es bringt nichts, wenn ich mich den ganzen Tag aufrege oder in negativen Gedanken verharre. Stattdessen versuche ich, offen zu sein und mit einem Lächeln durchs Leben zu gehen,“ erzählt Daniela. Claudia hingegen ist dankbar für die Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung stehen: „Ich sage mir immer wieder, dass andere Menschen nicht mal Hilfsmittel beantragen können, weil es in ihren Ländern keine Unterstützung gibt. Das baut mich dann auf, denn ich habe zumindest die Chance, dafür zu kämpfen. Und genau das tue ich.“
Kleine Rituale mit großer Wirkung
Es sind oft die kleinen Augenblicke, die ihr zeigen, was es Schönes im Leben gibt. Eine Umarmung ihrer Tochter, ein Schmetterling am Wegesrand, der Sonnenuntergang oder ihr Lieblingslied können solche Momente sein. „Das glockenhelle Lachen meiner Tochter ist einfach ansteckend,“ sagt sie. Diese kleinen Freuden hellen den Tag auf und machen den Alltag etwas leichter. Sie werden zu Ankern, die Claudia helfen, auch in schwierigen Zeiten stabil zu bleiben. „Unsere Einstellung ist es, immer einen Weg zu finden und uns von niemandem den Tag versauen zu lassen.“
Je mehr du nach positiven Momenten Ausschau hältst, desto eher wirst du sie finden. Denn deine innere Haltung beeinflusst nicht nur deine Perspektive, sondern auch die Art und Weise, wie du anderen begegnest. Auch Daniela hat kleine Rituale in ihren Alltag eingebaut, die ihr neue Kraft schenken. „Ich male, schreibe und höre beim Einschlafritual eine Serie oder ein Meditationsprogramm an. Darin finde ich Ruhe und schöpfe neue Kraft.“ Indem sie sich Zeit für solche kreativen und beruhigenden Momente nimmt, erlaubt sie sich selbst, loszulassen und ihre Energiereserven aufzutanken.
Gemeinsam mit ihrer Tochter hat Claudia ein Abend-Ritual entwickelt, das ihren Tag auf eine schöne Weise abschließt. Jeden Abend, bevor sie das Licht ausmachen, kuscheln sie sich zusammen und erzählen sich, was sie heute glücklich gemacht hat. „Mama, was war heute schön?“ fragt ihre Tochter. Dann tauschen sie ihre kleinen glücklichen Momente aus – vielleicht ein besonderes Lächeln oder ein schöner Augenblick, den sie gemeinsam erlebt haben. Mit diesen positiven Gedanken gehen sie ins Bett. So schließen sie die Herausforderungen des Tages bewusst mit etwas Schönem ab.
Auszeiten für die Seele
Kleine Pausen im Alltag sind für Daniela wie ein tiefes Atemholen. An manchen Samstagen übernimmt der familienentlastende Dienst die Betreuung ihres Sones, und diese Stunden bedeuten für sie mehr als nur eine kurze Auszeit – sie sind echte Momente des Aufatmens. „Es ist, als würde ich für ein paar Stunden wieder ganz bei mir ankommen,“ beschreibt Daniela. In dieser Zeit kann sie all das tun, was im Alltag oft zu kurz kommt: entspannt einkaufen, sich mit einer Freundin auf einen Kaffee treffen oder einfach nur in Ruhe einen Spaziergang genießen. Nach solchen Auszeiten fühlt sie sich entspannt und ausgeglichen. „Es ist einfach Gold wert, sich eine Auszeit zu schaffen,“ erklärt sie. Vor kurzem hat sie sogar eine Woche allein Urlaub in den Bergen verbracht. „Es war wunderbar!“ berichtet sie. „Ich konnte einfach mal für mich sein, lesen und die Ruhe genießen.“
Claudia hingegen genießt ihren Fitness-Kurs am Abend, während ihr Mann sich um die Tochter kümmert. In diesen Stunden hat sie auch die Möglichkeit, Texte zu schreiben und an ihrem Buch zu arbeiten, denn Claudia ist Journalistin. Auch sie hat bereits übers Wochenende Auszeiten genommen, um wieder aufzutanken. „Mein Mann ermöglicht mir so viel Berufstätigkeit, wie es nur geht, und schafft mir auch mal eine Auszeit,“ sagt sie. Diese Unterstützung gibt ihr das Gefühl, trotz der Herausforderungen der Care-Arbeit weiterhin ihre eigenen Ziele zu verfolgen. „Ich wollte Mutter sein und mich um ein Kind kümmern, und ich mache das gerne. Das ist jetzt mein Job, und darüber schreibe ich auch.“
Offenheit kann Brücken bauen
Oft fällt Unterstützung nicht einfach vom Himmel, sondern zeigt sich, wenn wir den Mut haben, danach zu fragen. Daniela verlor früh ihre Eltern und spürte schmerzhaft die Lücke, die dies hinterließ. Eines Tages, als sie vor ihrem Haus eine Gruppe älterer Damen mit Hunden vorbeigehen sah, fasste sie sich ein Herz und sprach sie an. Sie fragte, ob vielleicht eine der Damen Zeit und Lust hätte, als Ersatzoma für ihren Sohn da zu sein. Eine der Damen lächelte und antwortete: „Ja, ich hab Zeit. Mein Enkelkind lebt in Ostdeutschland, und ich sehe es nicht so oft.“ Seitdem ist „Oma Henni“ eine feste Stütze im Leben ihrer Familie und schenkt Daniela die wertvolle Hilfe, die sie dringend benötigt.
Auch Danielas Kinderkrankenschwester trat wie ein „Schutzengel“ in ihr Leben. Ursprünglich kam sie, um ihren Sohn medizinisch zu betreuen, doch selbst nach einem Umzug blieb sie Teil der Familie. „Sie ist mehr als nur eine Krankenschwester für uns,“ erzählt Daniela. „Sie gibt uns das Gefühl, nicht allein zu sein, und ist jede Woche da, wenn wir sie brauchen.“ Für Daniela ist die Kinderkrankenschwester eine Herzensperson, die ihr im Alltag Ruhe und Sicherheit schenkt. Daniela ist sich sicher, dass diese Verbindung auch deshalb so stark ist, weil sie bemüht ist, eine fröhliche Atmosphäre zuhause zu schaffen: „Bei uns wird viel gesungen und gelacht.“
Im Urlaub beobachtete Daniela, wie andere Kinder neugierig auf ihren Sohn zugingen, der auf einem Trampolin lag und die sanften Schwingungen genoss. Sie zögerten jedoch, weil sie unsicher waren, was los war. Also erklärte sie ihnen die Situation: „Ich habe ihnen gesagt, dass mein Sohn ein bisschen anders ist und sie beim Hüpfen vorsichtiger sein sollten, weil er nicht so gesund ist wie sie.“ Diese kleine Geste der Offenheit führte dazu, dass die Kinder Fragen stellten und großes Interesse an ihrem Sohn zeigten. So erlebten sie eine wunderbare Begegnung, und am Ende waren alle Kinder zusammen auf dem Trampolin. Daniela nennt solche Erfahrungen „Mini-Inklusion“ und weiß, dass es viele Türen öffnen kann, wenn man aktiv auf andere zugeht.
Es gibt immer einen Weg
Kindergarten und Schule sind zentrale Themen für Eltern – und noch mehr, wenn es um Inklusion geht. Inklusive Einrichtungen sind rar gesät, und oft fehlen die Plätze. „Die Kindergartensuche war bei uns anfangs der totale Reinfall,“ erinnert sich Claudia. Ein privater Träger hatte versichert, die inklusive Betreuung gut hinzubekommen. Doch schnell stellte sich heraus, dass sie sich nicht ausreichend mit dem Thema Inklusion auseinandergesetzt hatten. Claudia fand ihre Tochter oft allein im Nebenraum zurückgelassen vor. „Es war einfach keine Bereitschaft da, also haben wir unsere Tochter schnell wieder herausgenommen und weitergesucht,“ erzählt sie. Schließlich fand sie eine Einrichtung, die bereits jahrelang inklusiv arbeitete und in der sie sich von Anfang an wohlfühlten.
Ähnliches wiederholte sich, als ihre Tochter in die Schule kam. Viele Schulen winkten ab. „Ein Rollstuhl? Nein, das geht bei uns auf gar keinen Fall,“ lautete die Antwort. Auch die Suche nach barrierefreiem Wohnraum in einem Ballungsgebiet erwies sich als echte Herausforderung – schlichtweg unbezahlbar. Daher zog Claudia mit ihrer Familie schließlich aufs Land und baute selbst einen barrierefreien Bungalow. „Natürlich wäre ich gerne mitten in der Stadt geblieben, wo alles fußläufig erreichbar ist. Doch nun sind wir aufs Land gezogen und haben eine Montessori-Schule gefunden, die richtig Lust hat, alle Herausforderungen gemeinsam mit uns anzugehen.“ Seitdem entstehen Rampen an der Schule, und viele Hilfsmittel haben Einzug ins Gebäude gefunden. „Ich würde mir wünschen, dass es mehr solche Schulen gäbe,“ sagt Claudia.
Natürlich läuft nicht immer alles perfekt. „Wenn alle Kinder bei einem Ausflug im Wald herumrennen und sie mit ihrem Rollstuhl nicht kann, ist sie natürlich frustriert. Aber das ist in Ordnung, das darf sie auch sein. Dann reden wir abends darüber. Meistens hilft es schon, wenn ich zuhöre und ihr sage, dass ich sie verstehe und es auch echt kacke finde.“ Oft geht es ihrer Tochter dann schon besser. Insgesamt versucht Claudia, ihrer Tochter zu vermitteln, dass es wichtiger ist, nicht Defizite zu beklagen, sondern gemeinsam an neuen Lösungen zu arbeiten. „Wir versuchen immer, ein positives Licht auf die Sache zu werfen und Vorschläge zu machen, wie es anders gehen kann. Es gibt viele Dinge, die unsere Tochter entdecken wird, die sie besser kann als andere – auch wenn sie sich das im Moment vielleicht noch nicht vorstellen kann.“
Alltagstipps von Daniela und Claudia
- Suche aktiv nach Unterstützung: Trau dich, auch fremde Menschen auf der Straße anzusprechen, so wie Daniela, die so ihre Leihoma fand. Unterstützung kann auch von sozialen Diensten oder Familienmitgliedern kommen – hab keine Scheu, danach zu fragen!
- Fördere Mini-Inklusion im Alltag: Begegne anderen Menschen offen und zeige ihnen, wie wertvoll es ist, deinen besonderen Alltag kennenzulernen. Claudia spricht Kinder auf dem Spielplatz direkt an, um ihnen zu erklären, wie sie auf ihren Sohn Rücksicht nehmen können.
- Schaffe dir kleine Freiräume: Nutze Gelegenheiten, dich für kurze Zeit entlasten zu lassen. Daniela etwa gönnt sich Pausen, wenn der familienentlastende Dienst einspringt. Solche Momente sind wichtig, um aufzutanken und für dein Kind da zu sein.
- Pflege ein positives Mindset: Entscheide dich bewusst dafür, das Gute im Alltag zu sehen. Claudia sagt, dass sie akzeptiert, dass ihr Leben anders ist, aber nicht schlechter – und Daniela versucht, jedem Tag mit einem Lächeln zu begegnen.
- Führe Rituale für Achtsamkeit und Dankbarkeit einF: Nimm dir regelmäßig Zeit, um dir und deinem Kind die schönen Momente des Tages bewusst zu machen. Daniela und ihre Tochter erzählen sich abends, was sie glücklich gemacht hat. Solche Rituale stärken die Bindung und helfen, das Positive zu sehen.
- Schaffe kreative und meditative Auszeiten: Nutze ruhige Momente, um Kraft zu tanken, sei es durch Malen, Schreiben oder Entspannungsrituale am Abend. Claudia hört abends Meditationsprogramme, um den Tag ruhig ausklingen zu lassen.
- Nimm die kleinen Freuden bewusst wahr: Halte Ausschau nach den kleinen, schönen Dingen, die dein Herz leichter machen: ein Sonnenuntergang, ein gutes Lied oder ein kleiner Glücksmoment mit deinem Kind. Daniela zeigt, wie die Summe dieser kleinen Freuden den Alltag aufhellen kann.
- Baue dir ein Netzwerk aus „Herzensmenschen“ auf: Halte die Menschen nah bei dir, die dir und deinem Kind guttun – wie Danielas Kinderkrankenschwester, die seit Jahren fest zur Familie gehört und eine wichtige Stütze ist.
Hier kannst du noch mehr erfahren:
Familienunterstütztender Dienst
Claudias Podcast “Pflegegrad Glück“
Podcast-Folgen mit Daniela, Claudia und Stefanie:
Vom Hamsterrad in die Kreativität - Stephanies Weg zur persönlichen Auszeit
Wie wir unsere behinderte Tochter zu einem selbstbewussten Mädchen erziehen
Mit Herz und Offenheit zu mehr Inklusion
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