Ein unerwartetes Geschenk
Wie Suse eine Oase der Ruhe bei der Hippotherapie entdeckte
Wie oft gibt es solche Tage? Tage, an denen nichts so läuft, wie geplant. Ich muss los zur Arbeit und unsere Tochter Josefine ist immer noch nicht mit ihrem Frühstück fertig. Sie ist blind, Epileptikerin und leidet an dem Aicardi-Syndrom. Sie kann ihr Essen nur als Brei zu sich nehmen. Eine Ernährung über eine Sonde möchten wir nicht, aber so dauert das Essen eben seine Zeit. Im Moment klappt es nur, weil mein Mann im Home-Office arbeiten kann und morgens nicht ins Büro fahren muss. Nach der Schule geht es weiter. Dann müssen wir oft Josefines Mittagessen zuhause nachholen, weil sie dort nicht genug Zeit hat und dadurch nicht ausreichend gegessen hat. Alles verschiebt sich nach hinten oder es wird richtig stressig – und Josefines Geschwister haben das Nachsehen. Mit drei Kindern ist bei uns ohnehin viel los, vor allem weil noch Josefines Arzt- und Therapietermine hinzukommen. Oder der Orthopädietechniker. Unser Alltag ist durchgetaktet und manchmal weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht. Es wird ja auch nicht weniger. Deshalb freuen wir uns alle so sehr auf den Dienstagnachmittag – das ist seit mehreren Jahren unser Familientag. Seit wir ein ungewöhnliches Geschenk erhalten haben.
Alles fing mit einer harmlosen Frage an. „Habt ihr am Vatertag schon etwas vor?“, wollte die Koordinatorin des ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes wissen, die uns betreut.. „Nein“, erwiderte ich. Und so lud sie uns zu einem Fest ins Schlössle nach Scharnhausen ein – ins Hippotherapiezentrum Scharnhausen. Bis dahin hatte ich von Hippotherapie noch nie etwas gehört. Was sollte das sein? Mittlerweile weiß ich, dass es eine besondere Form der Physiotherapie auf dem Pferd ist. Durch die Schaukelbewegungen des Pferdes und den Rhythmus der Schritte, werden die Muskeln der Reiter:innen auf ungewöhnliche Art angeregt. Ganz anders als es bei anderen Methoden der Fall ist. Und das zeigte sofort Wirkung.
Als wir mit Josefine dort ankamen, wurde nach einem ersten Kennenlernen gleich ein Pferd für sie gesattelt. So konnten wir sehen, , wie sich bereits nach der dritten Runde auf dem Pferd ihre Spastik gelockert hat und mit der Zeit sich ihre Kopfkontrolle deutlich verbesserte. Es war schön zu sehen, wie viel Spaß sie hatte – ein tolles Gefühl. Aber das war noch nicht alles. Kurz bevor wir nach Hause gingen, nahm uns die Koordinatorin des ambulanten Kinder- und Jungendhospizdienstes zur Seite und sagte uns, dass wir von nun an ein Jahr lang jede Woche hierherkommen dürften – sie würden die Kosten übernehmen. Das war vor nun mehr als sieben Jahren.
„Oh wow“, dachten wir nur und konnten es erst gar nicht fassen. Wir hatten dort so einen schönen Tag erlebt und das sollten wir nun regelmäßig haben? Seitdem sind wir Stammgäste und kommen sogar zweimal die Woche, weil wir uns dort so wohlfühlen und es Josefine so guttut. Die Kopfkontrolle bzw. das Kopfhalten klappt immer besser und alle Menschen dort sind auf schwerst-mehrfach behinderte Kinder eingestellt. Es gibt eine Rampe für den Rollstuhl, so dass Josefine nicht aufs Pferd hochgehoben werden muss. Und selbst für die Geschwisterkinder ist gesorgt, die dort parallel auch Reiten können. Seit Neuestem nutze ich die freie Zeit dort sogar für mich! Denn es gibt auch eine Physiotherapie auf dem Hof für meinen Rücken, der vom vielen Tragen und Heben beansprucht ist. Schließlich ist Josefine mit ihren elf Jahren , ihren 150cm Größe und keinerlei Körperspannung sehr schwierig zu „händeln“.
Für uns ist die Hippotherapie am Hippotherapiezentrum in Scharnhausen eine echte Oase der Ruhe und eine Auszeit für die ganze Familie. Dort können wir entspannen und entschleunigen. Das Gelände mit dem alten Schloss und den Weiden ist sehr schön gestaltet und wir fühlen uns dort fast wie im Kurzurlaub. So fiebern wir alle auf diesen Abend hin – die Hippotherapie ist für uns unantastbar geworden. Da kommt uns nichts anderes in den Kalender. Wo können wir sonst gleich drei Termine in einem unterbringen? Dieser Tag gibt uns sehr viel Kraft, um die täglichen Herausforderungen zu überstehen. Ich bin wirklich froh, dass ich von diesem Schatz erfahren habe! Manchmal finden wir Lichtblicke an den unerwartetsten Orten – oder auf dem Rücken eines Pferdes.