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Für mich war es wie Urlaub

Warum Gabi mit ihrer behinderten Tochter jedes Jahr in ein Kinderhospiz geht

Als unsere Tochter Amanda vor elf Jahren auf die Welt kam, wussten wir bereits, dass etwas nicht stimmte. Aber wir wussten nicht was, sondern nur, dass sie Krampfanfälle hatte. Die Nächte waren sehr anstrengend, weil die Anfälle kamen und gingen und ich kaum geschlafen habe. Ich war einfach nur müde und gleichzeitig versuchten die Ärzte, mich behutsam darauf vorzubereiten, Amanda es nicht schaffen könne. So kurz nach der Geburt war es sehr schwer, mich mit dem Thema Abschied beschäftigen zu müssen. Es war eine schlimme Zeit. Es folgte Untersuchung auf Untersuchung und irgendwann fanden sie bei Amanda einen seltenen Gendefekt. Damit war klar, dass sie sich nicht so entwickeln würde, wie andere Kinder. Noch während wir im Krankenhaus waren, kam eine Mitarbeiterin der Sozialstation zu mir. Sie sah, wie erschöpft ich war und sprach mich an: „Bitte erschrecken Sie nicht, ich möchte Ihnen von einem Angebot erzählen. Es gibt in der Nähe ein Kinderhospiz und Sie könnten dort neue Kräfte tanken.“

Eigentlich stamme ich aus Chile und lebte zu dieser Zeit erst zwei Jahre in Deutschland. Das Wort „Hospiz“ hatte ich bis dahin noch nie gehört. Ich wusste nicht, was es bedeutete – zum Glück. Sonst wäre ich vielleicht nicht so unbefangen gewesen. So hörte ich mir an, was die Mitarbeiterin zu sagen hatte. Für mich klang das Angebot wie ein guter Ratschlag. Also rief ich dort an und sechs Monate später bekamen wir einen Termin. Das war das erste Mal, dass wir zu dritt als kleine Familie ins Kinderhospiz St. Nikolaus in Bad Grönenbach bei Kempten fuhren. Was mich sehr überraschte war, mit wie viel Liebe die Krankenschwestern dort Amanda begegneten. Natürlich fiel es mir schwer, sie aus den Händen zu geben. Schließlich kannten wir unsere Tochter am allerbesten. „Wenn etwas ist, haben wir Ihre Handynummer und melden uns“, sagten sie uns und wir gingen in den Garten und tranken einen Kaffee. Das war das erste Mal, dass wir als Paar etwas Zeit für uns hatten. Ich weiß noch, wie ungewohnt es war, nicht ständig zu schauen, ob Amanda einen Krampfanfall hatte. Anfangs fiel es mir schwer, mich zu entspannen. Doch am Ende war es eine schöne Woche für uns alle. So schön, dass wir mittlerweile jedes Jahr in ein Kinderhospiz fahren - nun sind es 10 Jahre.

Für mich war es von Anfang an wichtig, das Loslassen zu üben. Denn mittlerweile hat Amanda zwei jüngere Schwestern und wir wollten irgendwann einmal die Großeltern in Chile besuchen. Doch mit Amanda konnten wir nicht fliegen. Es war ein Prozess und ein langer Weg für mich. Aber ich sagte mir jedes Mal: Du musst es irgendwie schaffen. Und so lernte ich Schritt für Schritt, dass Amande im Kinderhospiz in guten Händen war. Wir konnten uns aussuchen, ob wir gemeinsam mit Amanda in einem Zimmer schlafen wollen oder in einem Elternzimmer. Als wir uns für das Elternzimmer entschieden, konnte ich das erste Mal eine Nacht durchschlafen – weil ich wusste, dass sie von Fachpersonal überwacht wurde. „Wir wecken Sie, wenn etwas sein sollte“, hieß es. Tagsüber gab es für Amanda Musiktherapie, Maltherapie, Physiotherapie, den Therapiehund, die Pferde oder Spaziergänge. Während Amanda bei einer Therapie war, konnten wir spazieren gehen. Einmal keine Milch sondieren, keine Medikamente geben, keine Krampfanfälle überwachen und die tägliche Pflege jemand anderem überlassen. Das Schönste aber war, dass ich nicht kochen musste, weil Vollverpflegung gab. Bei unseren Besuchen haben wir auch andere Eltern kennengelernt und viele Gespräche geführt. Natürlich gab es auch traurige Geschichten, aber mir war immer klar, dass es nun zu unserem Alltag gehörte, ein krankes Kind zu haben. Und der Austausch hat sehr gutgetan.
Mittlerweile waren wir in Chile und Amanda ist eine Woche ohne uns im Hospiz geblieben. Darauf haben wir uns mit den „Sturmfrei“ Wochen vorbereitet. Das ist eine Woche, in der Kinder ohne ihre Eltern im Hospiz bleiben. Diese Wochen haben wir zum Üben genutzt. Ich hatte immer das Gefühl, dass es Amanda dort gut ging und sie sehr zufrieden war. Sie hatte dort immer ihren normalen Rhythmus. Das ist natürlich nicht bei jedem Kind so. Aber mir hat vor allem geholfen, was meine Physiotherapeutin mir sagte: „Amanda ist nun schon 11 Jahre alt. Es ist normal, dass Kinder in dem Alter nicht die ganze Zeit nur mit Mama und Papa zusammen sind. Das ist im Grunde nichts anderes, als wenn Kinder in den Ferien eine Woche ins Zeltlager gehen. Dort hätten Sie auch nicht das Gefühl, Ihr Kind im Stich zu lassen, wenn es dort Spaß hat und gut versorgt ist.“ So haben wir uns dann getraut, obwohl es uns nicht leicht gefallen ist. Ich habe ständig an Amanda gedacht, aber es war auch schön, meine Eltern in Chile zu besuchen.

Manchmal denke ich auch an die Zukunft und frage mich: Was wird aus Amanda, wenn ich einmal alt bin? Auch deshalb ist es gut, dass ich schon jetzt lerne, Amanda auch mal abzugeben. Denn wer wird sie versorgen, wenn ich einmal nicht mehr so kann? Und schließlich soll sie auch andere Erlebnisse haben, als nur ihr Zuhause. Erst als ich anderen Eltern vom Kinderhospiz erzählt habe, merkte ich, wie viele Vorurteile damit verbunden sind. Oder was allein das Wort auslösen kann. Es war für mich auch kein Problem, die nötigen Dokumente von unserem Kinderarzt zu besorgen, auf denen „verkürzte Lebenserwartung“ stand. Doch für mich ist das nur ein Schreiben – wir wissen doch nicht, was die Zukunft bringt. Ich habe auch nie miterlebt, dass im Hospiz ein Kind gestorben ist. Es war für mich immer ein schöner Ort, um eine Pause zu machen und runterzukommen. Wir treffen sogar andere Eltern dort und die Geschwisterkinder können zusammen spielen. Deshalb kann ich nur von Herzen jeder Familie empfehlen, es einfach mal auszuprobieren. Wenn ich erlebe, wie erholt viele Familien von dort zurückkommen, ist das einfach sehr schön. Wir waren nun schon in verschiedenen Kinderhospizen: im Sterntaler in Dudenhofen bei Speyer, im Kindershopiz in Stuttgart und nun wollen wir nach Wilhelmshaven ans Meer in Joshuas Engelreich. Weil es in den Sommerferien oft schwierig ist, einen Platz zu bekommen, planen wir mit einem Jahr Vorlauf. Für mich ist es wunderschön, dass es Kinderhospize gibt und ich versuche anderen Eltern die Angst davor zu nehmen – denn ich habe nur positive Erfahrungen gemacht. Probiert es aus!